Immer wiederkehrende Wut, anhaltender Groll, unbestimmte Angstgefühle, Sehnsucht ohne zu wissen wonach, Einsamkeit auch unter Freunden, Traurigkeit ohne erkennbaren Bezug, Herzschmerz, unangemessene Schuldgefühle und ständige Zweifel sind Gefühlszustände, die das Leben belasten und uns stark einschränken können.

Was steckt dahinter?

Allen belastenden Gefühlen können sowohl selbst erlebte schwierige Lebenssituationen und Erfahrungen zugrunde liegen als auch übernommene Gefühle oder unbewusst wirkende Traumata. Schwierige Kindheitserlebnisse prägen uns und können auf Dauer zu belastenden Gefühlen führen. Auch wenn wir uns nicht an alle Situationen genau erinnern können, so sind doch diese Gefühle uns mehr oder weniger bewusst. Wir können mit Gespräch oder psychotherapeutischer Begleitung und natürlich auch mit Aufstellungen einige der Ursachen der uns belastenden Gefühle erkennen und heilsam verändern.

Anders ist es jedoch, wenn es sich um übernommene Gefühle unserer Eltern und Großeltern handelt oder um Verluste, von denen wir nicht wissen, dass wir mit diesen Personen verbunden sind. Das können eigene Geschwister sein oder Geschwister oder Partner unserer Eltern oder Großeltern. Wenn wir mit ausgeschlossenen Gefühlen, ausgeschlossenen Personen oder ausgeschlossenen Ereignissen in unserer Familie verbunden sind, hilft ein Gespräch nicht weiter. Eine Aufstellung jedoch kann eine große Hilfe sein, da sie verborgene Dynamiken zeigt und Heilungsschritte ermöglicht.

Der Wirrwarr meiner Gefühle

Ich selbst war die ersten Jahrzehnte meines Lebens von mir unverständlichen Gefühlen förmlich gebeutelt. Wutgefühle aus heiterem Himmel, eine schmerzende Sehnsucht nach dem, was ich nicht einmal benennen konnte, eine tiefe Traurigkeit, die keine Entsprechung hatte und eine mich quälende Verzweiflung in nicht angemessenen Situationen waren meine ständigen Begleiter. Ich war auf der Suche, ohne zu wissen wonach, probierte alles mögliche und unmögliche aus und kam doch nicht an.

Dass ich mit der Sehnsucht meiner Großeltern nach ihren verlorenen Söhnen verbunden war, mit der Sehnsucht nach der Heimat, die sie verlassen mussten, mit der Wut und Verzweiflung meiner Großmütter, mit dem Trauma meines Vaters und dem eigenen Verlust meiner ungeborenen Geschwister konnte ich nicht ahnen. Mit jeder Aufstellung ging es mir besser, es zeigten und lösten sich einige der Ursachen, die zu den mich belastenden Gefühlen geführt hatten. Heute sind meine Gefühle der jeweiligen Situation angemessen. Diese Gefühle kommen und gehen, sie belasten mich nicht mehr und engen mich nicht in meinen Handlungsmöglichkeiten ein.

Es ist mir eine ganz besondere Freude, wenn Klienten und Seminarteilnehmer schreiben, dass einige der sie belastenden Gefühle nach der Aufstellung ganz und gar verschwunden sind. Zwei der Heilungsgeschichten möchte ich hier beispielhaft erzählen.

Die Wut gegen die Männer an sich

Sabine kommt mit dem Anliegen, Angst und Wut zu empfinden, sobald sie mit ihrem Vater zusammen ist, ja schon dann, wenn sie an ihn denkt. Auch erzählt sie, dass sie nicht nur Wut auf ihren Vater hat, sondern dass sie diese Wut auch gegenüber den Männern an sich empfindet.

Mein erster Gedanke ist: Da ihr ja nicht alle Männer dieser Welt Leid zugefügt haben, kann diese Wut den Männern gegenüber ein übernommenes Gefühl sein. Wer ist hier wem böse? Wer ist wütend und aus welchem Grund? Hinter Wut verbirgt sich oft Liebe, die nicht ans Ziel kommen kann. Deshalb stellen wir in Sabines Fall ihren Vater, seine Eltern, die Wut, die Liebe und Sabine selbst auf.

In der Aufstellung zeigte sich, dass der Vater keine Chance hatte, von seinen Eltern gesehen zu werden. Sie schauten in die Ferne, jeder für sich allein. Voller Wut und Verzweiflung suchte der Vater Kontakt. Die Liebe stand am Rande des Raumes und hatte Angst. Über mehrere Zwischenschritte gelang es Sabines Großeltern, auf ihren Sohn zu schauen. Erst als der Vater langsam seine geballten Fäuste öffnen konnte, kam der Stellvertreter der Liebe vorsichtig näher. Die Liebe vertrat vermutlich eine Person, die im System fehlte, ohne dass wir sie benennen konnten. Sabine schreibt nach der Aufstellung:

„In der Aufstellung zeigte sich, dass mein Vater voller Wut war und keine Liebe zulassen konnte. Ich weiß nicht mehr, wie es später doch gelang. Doch als es ihm gelang, die Liebe zu umarmen, wichen meine Angst und meine Wut ihm gegenüber. Mehr weiß ich zu dieser Aufstellung nicht mehr. Doch das Erstaunliche war:

Ungefähr eine Woche danach war ich bei meinen Eltern zu Besuch, und was ich nie für möglich gehalten hatte, ich konnte meinen Vater umarmen, ich konnte mich neben ihn setzten – es konnte gar nicht nahe genug sein. Bis zu diesem Zeitpunkt versuchte ich immer, meinem Vater aus dem Weg zu gehen – möglichst ohne ihn zu verletzen. Im Nachgang hat sich zwischen uns ein sehr offenes und von Liebe getragenes Verhältnis entwickelt.

Ich bin sehr dankbar, dass ich über die Aufstellungsarbeit mehr zu mir selbst und zu meiner Familie finden konnte. Einiges muss ich sicherlich noch angehen, aber meine Lebensqualität hat sich enorm verbessert.“

Mit der Wut ist auch die Angst gegangen

Hagen kam mit einem beruflichen Anliegen zur Aufstellung. Er ist Mitte vierzig und ein gestandener, erfolgreicher Mann. In der Anamnese erzählte er ganz nebenbei, dass er schnell wütend wird. Er gibt sich jedoch große Mühe, diese Wut wegzudrängen, doch sie war zum ständigen Begleiter geworden. Oft war sie ganz unterschwellig da, doch dann gab es Situationen, in denen die Wut mit einer Wucht kam, dass er sich ohnmächtig fühlte, etwas dagegen tun zu können. Auch eine unbestimmte Angst, die er nicht zuordnen konnte, überfiel ihn hin und wieder plötzlich wie aus dem Nichts.

Nun kann diese Wut eine Reaktion auf selbst erlebte schwierige, nicht verarbeitete Lebensereignisse sein, die noch immer im Inneren brodeln und gesehen werden wollen. Sie kann jedoch auch eine übernommene Wut sein, die in der gleichen Intensität gefühlt wird wie eine eigene Wut.

Wir stellten Hagens Herkunftsfamilie, die Wut und einen Stellvertreter für Hagens Beruf auf. Es war eine intensive Aufstellung, in der der Stellvertreter für Hagens Beruf erst zum Ende der Aufstellung überhaupt am Aufstellungsverlauf teilnahm. Bis dahin hatte er nur unbeteiligt am Rande gestanden, als wenn es nicht wirklich um ihn ginge. Und so war es auch. Es ging um Traumata seiner Herkunftsfamilie, die sich langsam befrieden konnten. An das heilsame Endbild kann ich mich noch gut erinnern: Am Ende der Aufstellung hatte die Wut sich zurück gezogen, Hagen stand neben seinem Beruf und schaute entspannt auf seine Familie. Hagen schrieb mir nach der Aufstellung folgende Mail:

„Ich habe bei dir das Aufstellungsseminar im Kloster Oberzell mitgemacht. Die Veränderung, die sich seitdem bei mir eingestellt hat, ist so erstaunlich, dass ich beschlossen habe, kurz zu schreiben.

Vor dem Seminar hatte ich eine stete Wut, ohne dies wirklich zu merken. Ich vermute, dass ich es nicht mehr wahrnahm, weil diese Wut schon immer dagewesen ist. Ich hielt das für normal, ich dachte, ich wäre eben so.

Das dies nicht der Fall ist, merke ich erst jetzt: Die Wut ist weg! Das ist so unglaublich, dass ich es zunächst eine Weile prüfen und dann sacken lassen musste. Jetzt glaube ich es endlich! Tatsächlich ist mit der Wut auch die Angst gegangen, die ich vorher auch nicht bemerkt hatte.

Mein Leben ist jetzt erheblich einfacher und der Umgang mit allen Menschen um mich herum besser und friedlicher. Ich habe mehr Energie und Lebensfreude als zuvor und fühle mich im Ganzen vollständiger. Ich weiß noch immer nicht genau, wie diese Veränderung passiert ist, obwohl ich ja selbst dabei war! Kurz gesagt: Ich bin platt! Das hatte ich wirklich nicht erwartet! Es ist einfach nur fantastisch! Es ist mir ein großes Anliegen dir dies mitzuteilen. Vielen Dank für dieses Geschenk!“

Ein Heilungsweg braucht Zeit

Belastende Gefühle entstehen aus unseren Erinnerungen, sie sind in unserem Körper gespeichert. Nicht immer genügt eine Aufstellung, um belastende Gefühle zu lösen. Unsere Erinnerungen haben eine große Kraft. Wir können unsere Gefühle, die an die Erinnerungen gebunden sind, nicht willentlich ändern. Auch unser Denken zu ändern, das mit diesen Gefühlen verbunden ist, erfordert mehr Anstrengung, als wir leisten können. Denn dieses Denken wird von unseren Gefühlen mitbestimmt.

Wir brauchen neue innere Bilder, um neue Erinnerungen zu schaffen. Die der jetzigen Realität entsprechen. Die bisherigen Erinnerungen werden damit nicht verneint oder gelöscht. Sie werden ergänzt mit neuen Bildern und können integriert werden als das, was sie waren und sind: Sie sind Vergangenheit. Dann wird es möglich, im Herzen frei in der Gegenwart zu leben.

Natürlich heißt das nicht immerwährendes Glück und beständige Freude. Der Alltag fordert uns auf, gemeistert zu werden mit allen Höhen und Tiefen. Doch es steht uns dafür eine andere neu gewonnene Kraft zur Verfügung, wenn die belastenden Gefühle der Vergangenheit sich wandeln konnten zu dem, was der dahinterliegende Wunsch unserer Seele ist: Mit unseren Mitmenschen und mit uns selbst in Frieden zu kommen.

Familienaufstellungen unterstützen dich dabei. Wenn du dich für eine Familienaufstellung entscheidest, dann findest du hier alle Termine und kannst dich hier auch anmelden.

Alles Liebe für dich
Renate


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Text und Foto: Dr. Renate Wirth

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