Der Einfluss der Mutter ist größer, als wir denken

Wer wären wir ohne die Mutter? Wir wären nicht da. Nicht geboren, nicht auf der Welt. Die Mutter ist das Tor ins Leben. Sie riskiert in der Schwangerschaft und unter der Geburt ihr Leben, damit wir zur Welt kommen können.

Die Mutter prägt unsere ersten Erfahrungen. Schon in der Schwangerschaft, während der Geburt und unmittelbar danach. Die Beziehung zur Mutter entscheidet über unser Grundvertrauen, mit dem wir dem Leben, und später uns selbst und anderen Menschen begegnen.

Familienaufstellungen zeigen, welch wesentlichen Einfluss die Beziehung zur Mutter auf unser Leben hat. Und dass es nie zu spät ist, mit der Mutter in Frieden zu kommen.

Auch wenn du jetzt denkst: Ja, aber nicht bei meiner extremen Familiengeschichte und allen Erfahrungen meiner Kindheit! Und ich sage dir: Doch, auch dann. Gerade dann. Denn deine Seele wartet schon lange darauf. Ich spreche hier nicht von Friede, Freude, Eierkuchen. Ich spreche von: In Frieden kommen.

Was fühlst du, wenn du Mama sagst?

Probiere es aus. Was fühlst du, wenn du Mama sagst? Liebe oder Freude? Traurigkeit oder Sehnsucht? Oder empfindest du Abwehr, Groll oder Vorwürfe? Welche inneren Bilder siehst du? Welche Erinnerungen steigen in dir auf?

Schau hin, ganz ohne Wertung. Es ist wie es ist. Nur wenn du anerkennst, dass es ist wie es ist kannst du Heilungsschritte gehen. Sie sind immer möglich.

Ein Bindungstrauma: Wenn das Vertrauen zur Mutter fehlt

Die Liebe der Kinder zu ihren Eltern ist unausweichlich. Sie ist von Geburt an da. Wenn sie unterbrochen wird durch Traumata und Trennungen vor oder zur Geburt oder in der Kindheit, entsteht eine „Unterbrochene Hinbewegung“. Die Kinderliebe kann nicht zur Mutter. Sie zieht sich zurück.

Alle weiteren Bemühungen zu überleben führen zu Ersatzhandlungen für diese eigentliche Liebe. Kinder setzen sich aus Liebe für ihre Eltern ein und opfern sich für sie. Und Eltern übersehen ihre Kinder aus Liebe zu ihren Eltern. So werden Schicksale von den Eltern an die Kinder weitergegeben.

Die unterbrochene Hinbewegung

Eine „Unterbrochenen Hinbewegung“ und ein Bindungstrauma zwischen Mutter und Kind entsteht, wenn das Kind in seiner Seele nicht bei der Mutter ankommen kann.

Ursachen können Verlusterfahrungen des Kindes vor der Geburt, Geburtstraumata, Trennungen, Traumata der Mutter und systemische Verstrickungen sein. Diese „Unterbrochene Hinbewegung“ kann entweder vom Kind ausgehen oder von der Mutter oder von Beiden.

Je nach den frühkindlichen Bindungsmöglichkeiten entwickelt sich ein Bindungsstil, der die Gefühle und das Verhalten des Kindes für das gesamte Leben prägt, wenn sich zwischen Mutter und Kind nicht wesentliche neue seelische Bewegungen vollziehen können.

John Bowlby beschreibt in seinen Untersuchungen die vier Bindungsstile: Sicherer Bindungsstil, unsicher-vermeidender Bindungsstil, unsicher-ambivalenter Bindungsstil und desorganisiert-chaotischer Bindungsstil.

Es ist eine der Hauptaufgaben der Aufstellungsarbeit herauszufinden: Wo ist in dieser Familie der Fluss der Liebe unterbrochen? Welche Hinbewegung konnte nicht ans Ziel kommen? Woher kommt diese Unterbrechung, welche Hinbewegung war davor schon unterbrochen?

Ein schwieriges Verhältnis zur Mutter ist ein tiefer emotionaler Schmerz

„Ich wollte nie so werden wie meine Mutter“. Und: „Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals leicht war zwischen mir und meiner Mutter.“ Und auch: „Ich tue wirklich alles, was in meiner Macht liegt. Aber es wird nicht besser zwischen mir und meiner Mutter.“

Es ist ein anhaltendes Leid. Auf die verschiedensten Wege versuchen die Menschen, damit irgendwie zurecht zu kommen. Mit Ablenkung, mit räumlichem Abstand, sogar bis zum Kontaktabbruch. Doch das Problem löst sich dadurch nicht. Es bleibt eine Last auf dem Herzen. Und ein tiefer emotionaler Schmerz. Oder ein Groll.

Was hat dir der Groll bisher gebracht?

Groll gegen dich oder andere kostet so viel Lebenskraft. Er bringt dir nur scheinbare Sicherheit und scheinbare Erleichterung. Denn Schuldzuweisungen können ein Schutz sein, um den dahinter liegenden Schmerz nicht fühlen zu müssen.

„Ich habe meiner Mutter verziehen.“ Das ist ganz unsäglich und schlimm. Denn was machst du da? Die Mutter ist schuldig, du bist ihr Richter und kannst ihr verzeihen oder auch nicht. Du stellst dich so über die Mutter. Das verletzt deine eigene Seele, denn sie will das nicht.

Doch du bist nicht hilflos deinen Gefühlen und Erinnerungen ausgeliefert. Was du selbst tun kannst: Verzichte auf Schuldzuweisungen. Schau auf den dahinter liegenden Schmerz und verzichte auf Schuldzuweisungen und Vorwürfe. Vorwürfe sind ein Vorwerfen. Das Vorwerfen des Fehdehandschuhs. Eine Aufforderung zum Duell.

Was du noch selbst tun kannst: verzichte auf Rechtfertigungen. „Sie konnte ja auch nicht anders.“ Oder „Sie hat ihr Bestes getan.“ Der Versucht zu erklären verhindert, dass sich der Schmerz zu einem Ende vollziehen kann. Die Erklärung steht dem Gefühl im Wege. Doch es meldet sich wieder, meist an vollkommen unpassender Stelle.

Und wenn du mit allem dennoch nicht mit deiner Mutter in Frieden kommst: Dann schau in einer Familienaufstellung, was da wirkt und was deine Seele sucht und braucht.

Wenn das Kind in der Seele nicht zur Mutter kann

Eine traumatische Geburt kann ein vertrauensvolles Ankommen des Kindes bei der Mutter verhindern. Auch sehr zeitige Trennungen von der Mutter durch Krankenhausaufenthalte oder traumatische Erfahrungen durch Operationen in der frühen Kindheit machen es dem Kind schwer oder unmöglich, bei der Mutter vertrauensvoll anzukommen.

Verliert ein Kind einen Zwilling im Mutterleib, kommt es als allein geborener Zwilling mit dem Gefühl der Trauer auf die Welt. Seine Seele ist auf das verlorene Zwillingsgeschwister ausgerichtet. Es kann mit dem Herzen die Mutter nicht „sehen“ beziehungsweise fühlen. Seine Liebe geht nicht zur Mutter, sondern zum verlorenen Geschwister. Das ist tragisch und beeinflusst sein weiteres Leben.

Die unterbrochene Hinbewegung kann auch dann vom Kind ausgehen, wenn das Kind auf Seelenebene mit einem anderen, oft zeitig verstorbenen Familienmitglied verbunden ist, und wenn es Gefühle, besonders das der Trauer, für andere Familienmitglieder übernommen hat.

Wenn das Kind in seiner Seele nicht bei der Mutter ankommen kann, fehlt ihm von Anfang an ein Grundvertrauen.

Symptome für mangelndes Grundvertrauen

Symptome für mangelndes Grundvertrauen sind Angst (in vielen Facetten), Angst und Abneigung vor körperlicher Nähe, Berührung und Hingabe, Misstrauen unbekannten Situationen und Menschen gegenüber, Zweifel und Selbstzweifel.

Auch das Gefühl der Einsamkeit, auf der Suche zu sein und nicht ankommen können, eine unbestimmte anhaltende Sehnsucht, die Suche nach dem perfekten Gegenüber, der perfekten Situation.

Schuldgefühle und Schuldzuweisungen, Kontaktschwierigkeiten, Anspannung, Verspannungen, Schmerzen, manche Erkrankungen und die Unfähigkeit, das Herz energetisch zu öffnen sind die Folge von mangelndem Grundvertrauen.

Für die Entwicklung eines Grundvertrauens braucht es ein sicheres Gefühl der Bindung, die Erfüllung der physischen Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, Schlaf, Wärme…), das Gefühl, beschützt und geborgen zu sein, die Spiegelung der Gefühle und die Möglichkeit, bei Kummer und Schmerz getröstet zu werden.

Traumata vor der Geburt, der verlorene Zwilling (auch Gewalt in der Schwangerschaft oder Suizidversuch der Mutter in der Schwangerschaft)
Geburtstraumata Nabelschnur um den Hals
Trennungen nach der Geburt, Krankenhausaufenthalte des Kindes oder der Mutter

In einer Familienaufstellung: Der weite Weg zur Mutter

Geht die unterbrochene Hinbewegung vom Kind aus, gilt es in der Aufstellungsarbeit, das Kind ganz sacht auf die Mutter auszurichten, es zu führen, zum Blickkontakt oder einer kleinen Berührung. Ganz sanft. Kleine Schritte sind viel.

Der Mutter in einer Aufstellung neu zu begegnen ist ein innerseelischer Vollzug im Herzen. Er vollzieht sich vor allem über die Augen. Doch wir können ihn nicht „machen“, er kann sich nur aus dem Herzen heraus vollziehen.

Wir können nicht das Herz aufklappen, drin rumrühren und sagen: Nun liebt doch mal, das heilt euer Leid. Liebe lässt sich nicht herstellen. Sie vollzieht sich als Geschenk, wenn wir in der Aufstellung sehr behutsam sind und ihr Raum geben.

Bei der Mutter angekommen.

Elsbeth, eine Seminarteilnehmerin, schreibt:
„Die Beziehung zu meiner Mutter war zwar schon immer liebevoll, jedoch eher „platonisch“. Berührungen waren mir eher unangenehm.

Bei der Aufstellung im Mai bin ich zum ersten Mal bei meiner Mutter „angekommen“. Am Ende der Aufstellung war ich bei meiner Mutter, getröstet und gehalten. Den Kopf auf den Knien liegend. Dieses Bild empfinde ich noch immer als sehr tröstend.

Am Abend nach dieser Aufstellung bin ich nach Hause gekommen. Meine Eltern haben mir mitgeteilt, dass unser Hund gestorben ist. Meine Mutter ist aufgestanden, hat mich in den Arm genommen und mich getröstet. Und zum ersten Mal war mir ihr Geruch nicht unangenehm. Das hat mich sehr berührt.“

Neue neuronale Muster im Gehirn durch eine Familienaufstellung

Wir brauchen neue vertrauensvolle Erfahrungen. Wir brauchen neue emotionale Körpererfahrungen, um Geborgenheit und Vertrauen am eigenen Leibe zu erleben.

Wir brauchen die neue Erfahrung, in Sicherheit im Herzen und am Leib berührt werden zu können. Wir brauchen Hilfe, dass unsere Angst abfließen kann, einen Menschen, der unseren Schmerz aushält und uns durch den Schmerz begleitet.

Schritt für Schritt, bis neue neuronale Muster gebildet werden und der Körper versteht, dass die Gefahr vorbei ist, dass jetzt jetzt ist und dass er neu vertrauen kann. So entstehen neue innere Bilder, die neue neuronale Muster in unserem Gehirn ermöglichen.

Und falls du noch nicht sicher bist, ob eine Familienaufstellung für dich der nächste gute Schritt ist, dann hole dir hier gratis das eBook „5 Schritte zu mehr innerer Freiheit“.

Ich wünsche Dir ein vertrauensvolles, leichtes und heiteres Verhältnis zu Deiner Mutter und von Herzen alles Liebe
Renate

 

 


Impressum:
Text und Foto: Dr. Renate Wirth

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