Als Kind haben wir keine andere Chance, als im Herzen mit Vater und Mutter verbunden zu sein. Für unser Überleben sind wir von den Eltern abhängig. Wenn die Eltern anhaltend und immer wieder streiten, fühlt sich ein Kind existentiell bedroht. In seiner Seele stellt es sich auf die Seite des Schwächeren, um ihn zu unterstützen.

Partei ergreifen gegen den Vater

Nicht immer, aber oft ist die Mutter die „Schwächere“ im Streit. Der Sohn oder die Tochter hat dann keine andere Chance, als Partei zu ergreifen gegen den Vater. Das hat einen hohen Preis. Dieses Partei ergreifen, um die Mutter zu beschützen, richtet sich gegen den eigenen männlichen Anteil in uns selbst und bildet ein Männerfeindbild. Das ist tragisch.

Angst und Unsicherheit

Alkoholabhängige Väter reagieren unter Alkohol nicht immer gleich, doch viele Väter unter Alkohol sind aggressiv. Natürlich gibt es auch da viele Abstufungen. Doch verbale Gewalt gegen die Mutter und die Kinder sind nicht selten. Was bleibt, ist eine große Angst und Unsicherheit des Kindes vor dem Vater, die oft das ganze Verhältnis zum Vater bestimmt. Das ist für ein Kind furchtbar.

Der Streit der Eltern erzeugt ein Gefühl von Existenzgefahr. Es fehlt in jeder Hinsicht die Sicherheit, sowohl vom Vater als auch von der bedrohten Mutter. Wer wirklich der oder die „Schwächere“ im Streit ist, kann ein Kind nicht einschätzen.

Als Kind aus dem Paarkonflikt zurückziehen

In der Aufstellung zieht sich die Tochter oder der Sohn aus dem Paarkonflikt zurück. Dieser Konflikt der Eltern ist für ein Kind zu groß. In etwa mit folgenden Worten zur Mutter: „Was zwischen dir und Papa ist, das ist mir viel zu groß. Da halte ich mich ganz raus. Für mich ist er einfach mein Papa.“

So kann der Klient oder die Klientin zum ersten Mal auf den Vater schauen, so wie er ist, und den Vater sehen in seinem ureigenen Wesen. Als Vater. Und die eigentlichen Gefühle fühlen, die nie eine Chance hatten. Jenseits der Angst wird neben dem Blickkontakt vielleicht sogar eine Hinbewegung möglich.

Die Geschichte von Carmen. Der zermürbende Streit der Eltern

Ich möchte hier einen Ausschnitt aus dem Brief von Carmen einfügen. Carmen schreibt: „Ich habe etwa ein Jahr gebraucht, um den Mut aufzubauen, mein Thema im Rahmen einer Familienaufstellung anzuschauen. Ende des Jahres war ich dann soweit, und bis heute zehre ich von den Folgen, im positiven Sinne. So schwer dieser Tag auch für mich war, umso leichter ist es jetzt mit der gewonnenen Klarheit im Nachhinein. Ich habe ein für mich sehr schweres Päckchen abgelegt. Wenn jetzt noch vereinzelte Erinnerungen kommen, kann ich sie jetzt endlich verstehen.

Ich bin zu dir gekommen, weil ich erkannt habe, dass das Nichtbearbeiten meines Themas mich weiter und weiter in innere Dysbalance bringt. Meine Kindheit war geprägt von dauernden Streitereien und Kämpfen meiner Eltern. Mein Vater (geb. 1957) ist alkoholkrank und meine Mutter (geb. 1958) hatte viele Jahre lang die Hoffnung, er würde den Alkoholkonsum irgendwann einstellen.

Das geschah nie. Meine Mutter war häufig verzweifelt, traurig, weinte viel und wusste keinen Ausweg. So hatte ich als Kind immer das Gefühl, für meine Mutter da sein zu müssen, ihr Kraft, Halt und Unterstützung geben zu müssen. Ich wollte stark sein, so dass sie sich nicht auch noch um mich sorgen musste.

Um meine Mutter war ich in Dauersorge, aber auch um meinen Vater, weil ich nie wusste, wann er nach Hause kommt. Wenn mein Vater spät abends kam, gab es immer wieder Streit und meine Mutter hätte meistens am liebsten alle Sachen gepackt und wäre mit uns Kindern gegangen. Allerdings kam es nie soweit.

Erst als wir Kinder erwachsen waren und unseren eigenen Weg gegangen sind, hat meine Mutter ihren Mut genommen und hat sich von meinem Vater getrennt.

Bis zu dem Tag der Aufstellung hatte ich jeden Tag das Bild meiner gegeneinander kämpfenden Eltern vor Augen, diese in meinen Augen furchtbare und schreckliche Ehe. Ich selbst war von diesen Erfahrungen so blockiert, dass sie mich behinderten und meinem Leben im Weg standen.

Gleichzeitig wuchs meine Wut auf meine Mutter, nicht für mich da gewesen zu sein, obwohl ich sie als Kind gebraucht hätte. Mein Wunsch war es, damit Frieden zu schließen.

Auch der Vater meines Vaters (mein Großvater) und der Bruder meines Vaters (mein Onkel) waren und sind alkoholkrank. An dieser Stelle hast du, Renate, mir einen wichtigen Satz mitgegeben, der lautete: „Sucht kommt von Suchen.“ Und an dem Punkt haben wir mit der Aufstellung begonnen.

Der Ausgang hat schlussendlich so viel Klarheit und Verständnis in meine Welt gebracht, dass ich damit jetzt sehr gut leben kann und in Balance bin. Das Bild meiner Eltern vor meinen Augen ist verschwunden und ich sehe meine Eltern jetzt endlich als zwei getrennte Personen in getrennten Bildern. Das beruhigt mich ungemein.

Die Wut auf meine Mutter ist vollends verschwunden. Ich habe gesehen, dass sie mich sehr liebt. Auch meinem Vater bin ich nicht mehr böse und seine Alkoholkrankheit steht nicht mehr zwischen uns.

Das mir einst täglich vor Augen erschienene Bild meiner Eltern im Kampf ist verschwunden. Ich kann meine Eltern endlich als zwei voneinander losgelöste Personen sehen, jeder in seinem Universum seinen Weg gehend.

Ich habe gelernt: Ich muss nicht die Starke sein, die ihren Gefühlen keinen freien Raum geben kann. Ich lerne jetzt täglich, dass ich auch loslassen kann und weinen kann, wenn mir nach weinen zumute ist. Und dass ich meinen Emotionen Raum geben darf.

Seit der Aufstellung fühle ich mich so viel leichter und gleichzeitig werden viele andere Themen in meinem Leben mit geklärt. Ich merke mehr und mehr meine innere emotionale Weichheit (und weiß diese zu schätzen) und bin dadurch bereit, Nähe zuzulassen und Beziehungen einzugehen. Und das scheine ich auch nach außen auszustrahlen, denn ich wurde mittlerweile mehrfach unverhofft auf meine zufriedene Seele angesprochen.

Ich möchte sagen, ich habe mit der Beziehung meiner Eltern Frieden gefunden und das macht mich sehr glücklich. Was für ein Geschenk! Und daher nun diese Mail. Ich möchte dir DANKE sagen. Das Novemberwochenende bei dir in Berlin hat mein Leben letztendlich ein Stück weit aufgeräumt. Ich danke dir für deine Geduld, dein Einfühlungsvermögen, deine Klarheit, die Dinge zu sehen, deine Erfahrung, deine Wärme und den Rahmen, den du für die Aufstellungen geschaffen hast. Ich bin so dankbar, dass das Jahr einen so tollen Ausklang für mich gefunden hat.“

Liebe Carmen, von ganzem Herzen danke ich dir. Es ist so heilsam, wenn wir die Eltern so sehen wie sie sind: Zwei besondere Menschen, eingebunden in ihre Geschichte. Dann dürfen wir sie lassen, so wie sie sind und dürfen sie auch so lieb haben, genau so wie sie sind.

Neue innere Bilder

Wenn sich die Eltern anhaltend und immer wieder streiten bleiben Angstgefühle, Gefühle der Ohnmacht und Verzweiflung in unserem Körper gespeichert. Es ist eine große Chance der Aufstellungsarbeit, dass wir durch neue innere Bilder diese Gefühle wandeln können. Es ist wie eine Erlösung.

Es ändert nicht die Vergangenheit, sie war wie sie war. Doch es ändert unsere Gefühle und unsere Körperwahrnehmung. Wir können unserer Vergangenheit zustimmen mit allem, was wir erlebt haben. Die inneren Bilder verblassen und werden durch neue Bilder ersetzt. Es sind neue Erfahrungen, neue Körpererfahrungen und neue Erfahrungen unserer Seele. Endlich kann unsere Seele JA sagen zu unseren Eltern, so wie sie waren. Und sich nun sicher fühlen.

Wenn auch du in deiner Kindheit oder auch jetzt noch unter dem Streit der Eltern gelitten hast oder leidest, dann ist eine Familienaufstellung hilfreich und ein Schritt zu mehr innerer Freiheit.

Du kannst dir hier kostenlos das eBook „5 Schritte zu mehr innerer Freiheit“ herunterladen, wenn du dir nicht sicher bist, ob eine Familienaufstellung für dich der nächste gute Schritt sein kann. Oder du kannst als Stellvertreterin oder als Stellvertreter die Aufstellungsarbeit im Seminar kennenlernen. Hier findest du die Termine und kannst dich hier auch anmelden.

Alles Liebe für dich. Und eine friedliche Zeit.
Herzlichst
Renate

 

 


Impressum:
Text: Dr. Renate Wirth
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Praxis: Prinzregentenstraße 7 in 10717 Berlin
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