Das klingt ja jetzt ein bisschen verquer. Ein feierliches Gedicht auf den Vater? Oder gar einen Lobgesang? Sicherlich hatte der Vater auch einiges Gutes an sich. Aber eine Ode? Nein, das ist nun wirklich übertrieben.

Wenn du auch so empfindest, so kann ich dich aus deiner Geschichte heraus gut verstehen. Es gab einfach nicht übermäßig viele Situationen, in denen du dich ganz und gar wohlgefühlt hast mit deinem Vater. Viele Erlebnisse mit deinem Vater waren unschön, schmerzhaft oder gar angsterfüllt.

Und dennoch: Wer wärest du ohne deinen Vater? Du wärst einfach nicht da. Nicht geboren.

Du wendest ein, dass du ja dann einen anderen Vater hättest. Einen besseren auf jeden Fall. Einer, der dir zuhört, dich wertschätzt, dich beschützt. Einer, der dich ermutigt, der dich umarmt, der mit dir gespielt hätte. Einen Vater, den du achten kannst, zu dem du aufschauen kannst, der dir Vorbild ist. Einen Vater, vor dem du keine Angst haben musst. Und der dennoch stark ist. Einen besseren Vater eben.

Wir haben nur den einen Vater

Mein Vater war 8 Jahre in Krieg und Gefangenschaft. Er hat Furchtbares erlebt und unvorstellbar Schreckliches überlebt. Vor dem Krieg war er ein lebensfroher Mann, hatte das Musikkonservatorium besucht, spielte wunderbar Geige und war sehr beliebt, wo auch immer er hinkam. Seine Schwester erzählte mir, dass er auch ein wenig eigen war. Seine Schuhe mussten immer auf Hochglanz geputzt sein. Ansonsten fiel ihr nichts weiter „Schwieriges“ ein.

Mein Vater kam aus der Gefangenschaft zurück als gebrochener Mann. Alkoholkrank und gewalttätig. Ein Jahr später wurde ich geboren. Ich habe schlimme Erinnerungen an meine Kindheit. Doch ich kann mich nicht erinnern, dass ich vor meinem Vater Angst gehabt hätte. Ich fühlte mich beschützt von meiner Großmutter, von meiner Schwester und meinem Bruder, die 6 und 9 Jahre älter waren als ich. Dabei waren sie ja selbst noch Kinder.

Konflikte in der Schule löste ich eher mit den Fäusten als mit Argumenten. Ich war scheinbar als Kämpferin geboren. Hatte ich das von meinem Vater? Es gab immer so gegenteilige Bewegungen in mir: Mitgefühl und Abneigung, Hass und Wut und doch immer wieder auch den Wunsch, ihm nahe zu sein. Eine seltsame Mischung.

Es war für meine Kinderseele zu viel

Als ich jugendlich war, haben sich meine Eltern getrennt. Mein Vater erkrankte an Krebs und verstarb, als ich 20 Jahre alt war. Die Zeit seiner Erkrankung habe ich mit sehr widersprüchlichen Gefühlen erlebt. Für Traurigkeit war kaum Platz in mir. Nur mein Körper zeigte mir, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte Atemprobleme und Weinattacken aus heiterem Himmel. Auch jede Nacht Albträume und tiefe Gefühle der Verzweiflung. Erst Jahrzehnte später erkannte ich diese Symptome als Traumafolgesymptome. Alles war für meine Seele zu viel.

Der Heilungsweg meiner Seele

30 Jahre lang spielte mein Vater in meiner Erinnerung nicht unbedingt eine besondere Rolle, schon gar nicht eine gute. Das Leben beschenkte mich mit vier Kindern, es ging mir gut, meine Kraft und Herzensfreude galt meiner Familie. Doch dann erkrankte ich, 3 Jahrzehnte nach dem Tod meines Vaters, genau wie er, an einer Krebserkrankung.

Ich hatte sehr viel Unterstützung auf meinem Heilungsweg. Die Schulmedizin in allen Facetten und alternative Wege halfen meinem Körper, sich auf die Genesung und Heilung auszurichten. Mir wurde Tag für Tag Gutes getan. Doch ein Phänomen ließ mich nicht in Ruhe. Ich hatte eine gewalttätige Wut in mir.

Gewalttätig wie mein Vater?

War ich so gewalttätig wie mein Vater? So bösartig und zerstörerisch wie der Krebs? Die Wut war mein Feind. Aber ich bekam sie nicht los, was immer ich auch tat.

Da hatte ich das unendliche Glück, in einer psychoonkologischen Therapiestunde in einer Aufstellung die Wut aufstellen zu können. Mein Therapeut in der Klinik, Harald Homberger, vertrat die Wut. Ich habe ihn mit Argusaugen überwacht, dass er nicht so nah an mich herankonnte. Und plötzlich geschah etwas für mich unbegreifliches: Die Wut verkörperte plötzlich meinen Vater. Und ich spürte die tiefe Liebe, die in mir war für ihn. Und dass wir nie eine Chance hatten, uns nahe zu sein.

An diesem Abend weinte ich stundenlang. Um unsere verlorene Zeit. Um unsere nicht gelebte Liebe. So schade, dachte ich nur immer. So schade. Und es tat unsagbar weh.

Familienaufstellungen als heilsamer Weg

In den kommenden drei Jahren habe ich noch viermal eine Aufstellung mit meinem Vater erlebt. Ich erlebte seine abwesende Seite, die mit den Kriegstraumata verbunden war. Vollkommen apathisch schaute er in der Aufstellung auf seine toten Kameraden. Dann legte der Stellvertreter meines Vaters sich dazu. Mich sah mein Vater nicht. Um ihm nahe zu sein legte ich mich zu ihm. Und zu all den Toten.

Dann wurde ich aufgefordert aufzustehen. Ich war wie in Trance. Schaute immer wieder fassungslos auf all die Toten, zu denen mein Vater gegangen ist. Wieder war da dieser tiefe unendliche Schmerz. Keine Chance gehabt zu haben.

In einer zweiten und dritten Aufstellung änderte sich langsam etwas. Ich konnte Abschied nehmen und konnte meine abwertenden Gedanken loslassen. Und vor allem meine Schuldzuweisungen. Immer mehr nahm das Gefühl in mir Raum, das schon immer da war aber nie Platz hatte: Meine Liebe zu meinem Vater. Trotz allem was war.

Der schönste Papa der Welt

Die vierte Aufstellung war dann ein besonders großes Geschenk für mich. Es war ein anderes Seminar an einem anderen Ort und es waren andere Stellvertreter, die nichts von den vorangegangenen Aufstellungen wussten. Und dann geschah das Unglaubliche: Mein Vater schaute mich zum ersten Mal an. Er schaute mich freundlich lächelnd an und ich strahlte zurück. Und plötzlich sah ich: Es war der schönste Papa der Welt. Ich hatte den schönsten Papa der Welt!

Ich hatte es nur gedacht, aber meine Gedanken waren wohl bei ihm angekommen. Lachend nahm er mich in den Arm und hielt mich fest. Nach einer Weile löste er sich und ging mit lachendem Gesicht rückwärts. Dann war die Aufstellung zu Ende.

Seitdem weiß ich, dass alles so gut war wie es war. Dass mein Vater auch eine liebenswerte und liebende Seite in sich hatte. Und dass mir diese Erfahrung nie wieder verloren gehen wird.

Eine Ode an meinen Vater

Wenn ich ein Gedicht für meinen Vater schreiben würde, wie könnte es aussehen nach all der langen Zeit? Nach all den schmerzhaften Erfahrungen? Nach all dem Leid?

Zuallererst würde ich meinem Vater danken. Danken, dass er das Furchtbare und Unbegreifliche des Krieges und der Gefangenschaft überlebt hat. Dass er die Kraft hatte und den Mut, nach Hause zu kommen. Damit ich geboren werden konnte. Etwas ungelenk schreibe ich nun:

Lieber Papa,
was für ein unbeschreibliches Glück
ist es doch, dein Kind zu sein.

Was würde ich dafür geben,
nur noch einmal für fünf Minuten
neben dir zu sitzen.
Still wäre ich, ganz still.

Alles was ich tue, erzählt
von meiner späten Liebe zu dir.
Die Welt ist hell und warm und lächelt.

Durch die Aufstellungen konnte ich Platz finden für die Liebe und das Schöne. Ich musste nun nicht mehr nur auf das Trauma schauen und das was gefehlt hat. Aus meinem Herzen heraus konnte ich fühlen und sagen: „Danke Papa, dass du aus dem Krieg zurückgekommen bist. Danke dass du das alles überlebt hast. Danke für die vielen Situationen, in denen du gut zu mir warst, doch an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Ich freue mich, dass du mein Vater bist.“

Die Vaterwunde heilen. Frieden mit dem Vater

Auch wenn wir lange Jahre unsere Erlebnisse mit dem Vater als geheilt betrachten, so kann es dennoch in bestimmten Lebenssituationen vorkommen, dass die alten Vaterwunden wieder aufbrechen. Wenn du das Gefühl hast: „Mein Vater war nie für mich da.“ oder „Ich hatte einen schwachen Vater.“ oder „Mein Vater war gewalttätig und abwertend“ oder „Mein Vater war Alkoholiker.“ oder „Ich will mit meinem Vater nichts zu tun haben.“ Dann komm zur Familienaufstellung. Eine Aufstellung kann dir die Dynamiken zeigen, die hinter deinem Problem wirken. Und heilsame Schritte bewirken.

Auch wenn du deinen Vater vermisst, wenn du ihn nicht kennenlernen konntest, weil er früh verstorben ist oder sich deine Eltern getrennt haben, wenn du nicht weißt, wer dein Vater ist und du ein Gefühl der inneren Suche empfindest, dann komme zur Familienaufstellung. Viele gute heilsame Schritte sind möglich.

Es kann sein, dass hinter einer Paarthematik mit deiner Partnerin oder deinem Partner, wenn Kinder schwierig sind, hinter mangelndem Erfolg oder bei Geldproblemen eine schwierige Konstellation mit deinem Vater als Ursache verborgen ist. Selbst schwere Erkrankungen können mit einer nicht ausgeheilten Vaterwunde in deiner Seele verbunden sein.

Was bewirkt eine Familienaufstellung?

Was bewirkt eine Familienaufstellung? Sie zeigt die Dynamiken, die hinter deinem Thema liegen. Sie ermöglicht, heilsame Schritte zu gehen. Sie schenkt neue Erfahrungen und neue innere Bilder.

Wenn du dir nicht sicher bist, ob eine Familienaufstellung für dich der nächste gute Schritt ist, dann kannst du dir hier kostenlos das eBook „5 Schritte zu mehr innerer Freiheit“ herunterladen. Oder du kannst als Stellvertreterin oder als Stellvertreter die Aufstellungsarbeit im Seminar kennenlernen. Hier findest du die Termine und kannst dich hier auch anmelden.

Oder schau in dein Herz. Was fühlt dein Herz, wenn du an deinen Vater denkst? Und was wünschst sich dein Herz?

Ich wünsche dir alles Liebe
Herzlichst
Renate

 

 


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Text und Bild: Dr. Renate Wirth

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