Ein Trauma ist eine Situation, in der sich ein Mensch an Leib und Leben bedroht fühlt und keine Chance hat zu fliehen oder gegen die Gefahr anzukämpfen. Körper und Seele erstarren. In einer solchen Situation erleben Gehirn und Seele einen Schockzustand.
Falls es nicht möglich ist, der bedrohlichen Situation durch Flucht oder Kampf zu entkommen, z.B. weil Menschen festgehalten, eingesperrt oder gewaltsam gehindert werden, sich durch eigenes Tun in Sicherheit zu bringen, schüttet das Gehirn weiter Stresshormone aus und die elektrischen Schaltkreise des Gehirns feuern, ohne etwas bewirken zu können.
So kann noch lange nach der eigentlichen Gefahrensituation das Gehirn dem Körper weiter Signale übermitteln, die ihn mit aller Kraft dazu antreiben, sich vor einer Gefahr in Sicherheit zu bringen, die gar nicht mehr existiert. Das Gehirn schüttet weiterhin die Stresshormone aus, mit dem es zum Zeitpunkt des traumatischen Ereignisses begonnen hatte, Flucht oder Kampf einzuleiten.
Die Traumata des Krieges
Die Traumata des Krieges sind unvorstellbar. Das grenzenlose Leid hat tiefe und nicht auszulöschende Spuren in den Seelen der Menschen hinterlassen. In den Seelen der Männer, Soldaten, der Täter und Opfer, der Frauen und Kinder.
Es gibt wohl kaum eine Familie, die nicht auf irgendeine Weise in die Nachwirkungen des zweiten Weltkrieges eingebunden ist, manchmal in die beider Kriege. Nach dem Krieg wurde in der Regel alles ausgeklammert: Die toten Kameraden, die toten Opfer, die Vergewaltigungen, die Plünderungen, die Ausgebrannten, die Kriegsgefangenen, die Wiederheimkehrer, die Erfahrungen der Flucht und Vertreibung. Das Leben musste weiter gehen.
All die furchtbaren traumatischen Erlebnisse waren mit dem Kriegsende nicht einfach vorbei. Sie waren unvergessen in die Herzen und Körper und in die Seelen und Erinnerungen der Menschen eingegraben. Auch wenn nie wieder davon gesprochen wurde. Auch wenn die Eltern und Großeltern erzählt haben, es wäre ihnen „nicht wirklich etwas Schlimmes passiert.“ Die erlebten Traumata veränderten ihr Leben und das der nachfolgenden Generationen. Sie wirkten und wirken noch immer im Verborgenen weiter.
Traumata wirken im Verborgenen weiter
Wir denken zumeist, die Schwierigkeiten, die wir haben, liegen an uns selbst. Wenn wir uns nur mehr anstrengen, wenn wir dies oder das anders machen würden, wenn unser Partner anders wäre, dann werden die Probleme schon zu ändern sein. Doch so ist es oft nicht. Das, was hinter unserem Problem wirkt, ist oft unbewusst und entzieht sich unserer bewussten Kontrolle. Denn Probleme können systemisch sein. Systemisch bedingt heißt, es kann aus dem Familiensystem etwas unbewusst auf uns wirken, das sich der eigenen Kontrolle entzieht.
So geschieht es oft, dass Traumata und familiäre Bindungen verhindern, liebevoll, zielgerichtet und erfolgreich den eigenen Weg zu gehen. Wir können uns noch so bemühen, es hilft nichts. Denn schmerzhafte Ereignisse und Traumata in der Familie, ein Tabu oder Werte, die nicht mit der Familiengeschichte übereinstimmen, können den Erfolg, das Glück und eine erfüllende Partnerschaft verhindern und Ursache von Krankheiten und belastenden Gefühlen sein. Verluste und Schicksalsschläge wirken unbewusst über Generationen weiter.
Neue epigenetische Forschungen
Die Epigenetik ist ein relativ junger Teilbereich der Genetik, die den Einfluss der Umwelt auf die Gene untersucht. Sie beschäftigt sich mit den vererbten Einflussfaktoren auf die Aktivität von Genen und der damit verbundenen Zellentwicklung des Menschen. Dass erworbene Eigenschaften durch veränderte Umweltbedingungen an die Nachkommen vererbt werden, ist im Pflanzenreich und bei Insekten schon längere Zeit bekannt. Neu ist jedoch, dass dies auch bei Säugetieren und bei uns Menschen nachweisbar ist.
Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass das Verhalten und die Erlebnisse der Menschen nicht vererbbar seien und dass unsere Ähnlichkeiten mit den Eltern in unserem Verhalten das Ergebnis unserer Sozialisierung und der Prägung in unserer Kindheit sind.
Neue epigenetische Forschungen zeigen jedoch, dass die Traumata unserer Eltern und Großeltern Einfluss auf die Aktivität der Gene und der damit verbundenen Zellentwicklung haben. Diese Genveränderung sind kein Ergebnis von Mutationen. Sie werden jedoch an die nächste Generation vererbt. Dabei verändert sich nicht die DNA-Sequenz, sondern es verändert sich das Schaltprogramm des Erbgutes.
Wesentlich ist die Erkenntnis, dass Umwelteinflüsse zu Genänderungen führen können jenseits des genetischen Codes. Welche Gene aktiviert werden kann die Zelle, je nach ihren Bedingungen, durch die Anlagerung von Proteinen entscheiden. Methylgruppen können Gene stilllegen durch Gen-Methylierung. Dabei legt sich ein Methylprotein über ein Gen oder eine Gensequenz und verhindert, dass die Zelle die Informationen des Gens oder der Gensequenz lesen kann. Hydroxylgruppen können stillgelegte Gene wieder aktivieren. Auch Phosphatgruppen haben Einfluss auf das Ablesen der Genaktivierung.
Das klingt jetzt sehr wissenschaftlich, und es ist zugegebener Maßen auch manches schwierig zu verstehen. Ich habe lange versucht, die chemischen Prozesse in ihrer Tiefe zu erfassen, habe dann aber irgendwann bescheiden darauf verzichtet. Was aber wesentlich ist: Diese Erkenntnisse sind eine Revolution auf dem Weg zum Verständnis unserer Lebensgeschichte. Denn sie zeigen, dass die Umwelt einen Einfluss auf die Veränderung der Gene hat, die vererbt werden.
Das Erbe traumatischer Erfahrungen
Die Fachwelt steht an einer Wende in der Frage, ob Säugetiere epigenetisch gespeicherte Umweltanpassungen über die Keimbahn an mehrere folgende Generationen weitergeben, ob also eine echte transgenerationelle epigenetische Vererbung existiert. Nach der klassischen Sicht werden bei Saugern und damit auch beim Menschen alle epigenetischen Markierungen in den Keimzellen – also in Eizellen und Spermien – gelöscht. Die Zellen werden reprogrammiert.
Für Menschen fehlen zwar eindeutige Belege gegen diese Auffassung, aber zahlreiche Experimente mit verschiedenen Säuger-Arten zeigen, dass diese sehr wohl epigenetische Anpassungen vererben können.
Isabelle Mansuy, Professorin für Neuroepigenetik der Universität Zürich und ihr Team konnten nachweisen, wie Reaktionen auf Traumata im Mausmodell von einer Generation zur nächsten vererbt werden, auch wenn die nachfolgenden Generationen den traumatischen Stressreaktionen nicht selbst ausgesetzt waren. Sie konnten ebenso nachweisen, dass solche stressbedingten Verhaltensänderungen auch reversibel sind und dass die Verhaltenssymptome rückgängig gemacht und nicht mehr an den Nachwuchs vererbt werden, wenn sich die Bedingungen zum Guten ändern.
Nun ist eine Maus kein Mensch, doch auch Tiere können traumatisiert werden. Und da die Generationsfolge der Mäuse sehr kurz ist im Vergleich zu der des Menschen, sind hier eher umfangreiche Ergebnisse und Erkenntnisse möglich.
Die Vererbung von traumatischen Reaktionen beim Menschen
Bahnbrechende Erkenntnisse zur Vererbung von traumatischen Reaktionen beim Menschen konnte Rachel Yehuda, Professorin für Psychiatrie und Neurowissenschaft in New York bei Ihren umfangreichen Studien zur Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei Menschen erzielen. Sie untersuchte Holocaust-Überlebende und deren Nachkommen sowie Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft die Angriffe auf das World Trade Center in New York unmittelbar miterlebt hatten.
Die Erkenntnisse zu biochemischen Veränderungen, besonders des Cortisolspiegels, und der Vererbung dieser Veränderungen auf die nachfolgende Generation zeigen, dass physische und emotionale Auswirkungen von erlebten Traumata biochemisch im Körper der nachfolgenden Generation weitergegeben werden.
Wir sind bis in alle Zellen hinein geprägt
Unsere DNA besteht aus Genen und Gensequenzen. Wir sind eine Kombination aus Genom, Epigenom und persönlichen Erfahrungen. Letztere entscheiden die Veränderungen im Epigenom. Im Epigenom sitzt das Gedächtnis der Vergangenheit. Und unsere Umwelteinflüsse entscheiden, wer wir morgen sind.
Das, was wir erleben und erlebt haben, schlägt sich in unserem Erbgut nieder. Die Geschichte unserer Familie wird damit auch zu unserer eigenen Geschichte. Und auch unsere Erlebnisse prägen durch epigenetische Marker die Weitergabe epigenetischer Stressregulierungs-Muster an die nächste Generation.
Es gibt noch viele weiße Flächen bei der Frage, wie es genau geschieht, dass die epigenetischen Veränderungen an die Nachkommen weitergegeben werden. Was jedoch immer mehr nachweisbar ist: Unser Verhalten und unsere Erlebnisse haben Einfluss auf die nach uns kommende Generation. Ob es uns bewusst ist oder nicht: Die Erlebnisse unserer Eltern und Großeltern haben Einfluss auf unser Leben. Das betrifft ganz besonders die traumatischen Erfahrungen
Was kannst du tun?
Wir wissen ja oft nicht, dass die Symptome, die uns bedrängen, ihre Ursache in Traumata der Eltern und Großeltern und sogar der Urgroßeltern haben. So kommen die Teilnehmer mit den verschiedensten Anliegen zur Aufstellung. Doch hinter den Anliegen verbirgt sich oft ein Trauma.
Schau in deine eigene Geschichte. Gibt es etwas in deinem Leben, was dich behindert und einschränkt? Ist es möglich, dass Traumata noch immer auf dich wirken? Du kannst in die Geschichte deiner Eltern und Großeltern schauen. Was haben die Eltern und Großeltern erlebt?
Die gute Nachricht ist: Wenn sich zeigt, was hinter deinem Anliegen wirkt, kann diese Ursache geändert werden. Du kannst in ein Seminar kommen, hier findest du die Termine und kannst dich hier auch anmelden. Oder du kommst in die 1:1-Begleitung. Auch das ist möglich. Hier kannst du einen Termin vereinbaren.
Zu meiner eigenen Geschichte mit meinen Großeltern gibt es einen Blogartikel mit dem Titel „Das Leben meiner Großeltern. Wie es noch immer in mir wirkt.“
Ich wünsche dir eine unbeschwerte Zeit, in der du vor allem du selbst sein kannst.
Herzlichst
Renate
Impressum:
Text: Dr. Renate Wirth
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Praxis: Prinzregentenstraße 7 in 10717 Berlin
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